Das Streiflicht
(SZ) Kein Tier ist den Menschen so
nah wie der Storch. Er nistet auf ihren Dächern, er fischt die plärrenden
Frösche aus ihren Teichen, mit
seinem gewaltigen Schnabel, der eine Harpune
sein kann, aber auch eine Hebamme. Jedes kleine Kind glaubt, vom Storch
geliefert worden zu
sein, die entsprechenden Zeichnungen finden
sich ja in den Geburtsinseraten der Lokalzeitung. Der Storch ist dem Menschen
ein Freund, aber
auch ein Vorbild, etwa in der Mode. Er wagt,
ein weißschwarzes Gewand mit roten Kniestrümpfen zu kombinieren, niemals trägt
er kurze rote
Socken, weshalb die gleichnamige Politkampagne
spurlos an ihm vorbeigezogen ist. Vom Storch initiiert, setzten sich rote
Strümpfe in
Modelkreisen genauso durch wie bei Fußballern.
Legendär die Mannschaft von Holstein Kiel, deren rote Stutzen ihr den Namen
gaben: Kieler
Störche . Gern lebten die Menschen,
wie der Storch lebt: im Sommer daheim am Nest werkeln, sobald es kühl wird, in
den Urlaub
verschwinden. Dem Storch zu Ehren schrieben
sie Gedichte, in denen dessen Reisepläne mit religiösen Eckdaten verwoben
wurden. „Auf St.
Petri Fest sucht der Storch sein Nest“,
dichteten sie, wenn sie ihn erwarteten. Flog er davon, gaben sie ihm
Selbstgereimtes mit auf den
Weg: „An Mariä Geburt nimmt auch der Storch
den Reisegurt.“ In Abwesenheit des Storches trugen sie dann alle Sprüche in
ihre Bauernkalender
ein.
Inzwischen trägt der Storch nach wie
vor perfekt sitzende Kniestrümpfe, aber die Fassade kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass dahinter
manches in Unordnung geraten ist. Im
holsteinischen Krogaspe haben über Pfingsten zweiStörcheauf dem örtlichen
Golfplatz damit
begonnen,Golfbälleauszubrüten. Sie fertigten
provisorische Nester an und trugen die herumliegenden Bälle darin zusammen,
zehn
Bälle in einem Nest, drei in dem anderen. Sie
setzten sich auf die Bälle, wärmten sie. Sie brüteten. Sie ließen sich nicht
stören von den
vielen Storchenfans und Storchenforschern, die
in die vielen TV-Kameras sagten, dieses sei eine zoologische Sensation. Oder,
für den
modernen Bauernkalender: Sitzt der Storch auf
einem Ball, kommt der Herbst in jedem Fall.
Natürlich gibt es Erklärungsversuche.
Das Paar könnte sein eigenes Gelege verloren haben. Die Bälle sind zwar kleiner
als die Eier, aber in
der Not schaut auch ein Storch nicht mehr
richtig hin. Genauer betrachtet ist es allerdings bezeichnend, dass in einem
Land, in dem es
immer mehr Golfer, aber immer weniger Babys
gibt, selbst der Storch seine Zeit lieber auf der Driving Range verbringt als
mit der
Freihaus-Lieferung von Kleinkindern. Er sitzt
auf Golfbällen und versucht, tote Materie zu beleben. Er brütet und brütet, und
nichts kommt
dabei raus. Tatsächlich, kein Tier ist dem
Menschen so nah wie der Storch.