Bild: Werner Rathert läuft mit einem weißen Stock in der Hand © dpa
Dortmund (dpa) Zum
sportlichen Walking im Park braucht der
Dortmunder Werner Rathert nur einen Stock - und
zwar einen weißen.
Seit dem 19. Lebensjahr kann der inzwischen
71-Jährige nicht mehr
sehen. Seiner Lauf-Leidenschaft tat dies jedoch
keinen Abbruch.
Vor allen in den 70er und 80er Jahren erzielte er
Zeiten, von denen
die meisten sehenden Hobby-Marathonläufer nur
träumen. So stellte er
etwa 1977 mit 2 Stunden 36 Minuten und 15 Sekunden
einen Weltrekord
für blinde Marathonläufer auf.
Hat Rathert seine Läufe
früher an der Leine eines anderen Läufers
oder eines Radfahrers bestritten, braucht er
für das stramme Gehen
heute nur noch seinen bis zur Brust reichenden
Stock. Damit erspürt
er quer zum auftretenden Fuß seinen Weg. Auf
die Bedeutung dieses
wichtigen Hilfsmittels und amtlich anerkannten
Schutzzeichens blinder
Menschen weist seit 1964 weltweit jährlich am
15. Oktober der «Tag
des Weißen Stockes» hin. Dabei werben
Regierungen und
Selbsthilfeverbände um Rücksicht auf
nichtsehende Menschen und
berichten über den Stand ihrer beruflichen
und gesellschaftlichen
Integration.
Rathert hatte nach seinem
Volksschulabschluss Bierbrauer und
Gärtner gelernt. Mit 19 erkrankte er am
Grünen Star. «Ich musste mein
Leben neu ausrichten», erzählt er. In
der Blindenschule Soest machte
er daher eine weitere Ausbildung zum Telefonisten
und Stenotypisten.
«In diesem Beruf arbeitete ich von 1957 bis
1960 in der freien
Wirtschaft.» Danach ging er zur damaligen
Bundespost, wurde Beamter
und brachte es schließlich bis zum
Betriebsinspektor.
In seiner Freizeit entwickelt er
sich zum leidenschaftlichen
Läufer. «Da ich mich im
Behindertensport nicht genug gefordert
fühlte, nahm ich sonntags mit einem Freund an
Volksläufen über 10
Kilometer teil und schloss mich einem
Leichtathletikverein in
Dortmund an.» Mit Leichtigkeit schafft er die
Qualifikation zur
Teilnahme an der Deutschen
Marathonlauf-Meisterschaft 1972. Im Mai
1977 stellt der damals 41-Jährige die
Bestzeit für blinde
Marathonläufer auf. Sieben Jahre später
mit inzwischen 48 Jahren kann
er in Berlin seine persönliche Bestzeit
nochmals um rund eine Minute
verbessern. «Werner Rathert war so schnell, dass sich für
ihn nur ein
Radfahrer finden konnte, der ihn
führte», hieß es damals in
Medienberichten.
Doch die 42,2 Kilometer reichen ihm oft nicht. So
absolviert er
bereits 1976 im westfälischen Hamm einen
100-Kilometer-Lauf mit der
Bestzeit für Nichtsehende von 7 Stunden und
48 Minuten und wurde
unter 800 Teilnehmern Gesamtvierter. Bis 1990
nimmt Rathert an
insgesamt 36 Läufen über die
Marathondistanz teil, etwa in Berlin,
Göteborg oder Buffalo/USA. Hinzu kommen
etliche 100-, 50-, 25- und
10-Kilometer-Läufe.
Neben seinen
Laufaktivitäten lässt Rathert sich zum
Trainer
ausbilden und erwirbt die für Leichtathletik und Lauf
erforderlichen
Scheine. Anschließend trainiert er eine
Gruppe sehender Frauen. «Das
Gruppenmitglied Gabriele Wolf befähigte ich
zur Olympiateilnahme 1988
in Seoul», erzählt er stolz. Für
seine sportlichen Leistungen erhält
er unter anderem 1988 das Bundesverdienstkreuz am
Bande.
Neben dem Laufen blieb noch Zeit für
künstlerische Neigungen. «Da
ich nach der Erblindung das Zeichnen mit Bleistift
und die
Aquarellmalerei aufgeben musste, lernte ich Banjo,
Gitarre und
Mundharmonikaspielen.» Er musizierte mit
Sehenden in mehreren Bands.
Noch heute spielt er in einem Trio Mundharmonika.
Über einen
Gesangverein lernt er auch seine erste Frau
kennen. Sie starb 2004.
Vor drei Monaten heiratete Rathert
erneut.
Ohne Sport geht es freilich
nicht. Jeden Tag marschiert Rathert
flink auf bekannten Wegen durch zwei Dortmunder
Parks. Gymnastik und
Radeln auf einem Hometrainer tun ihr Übriges
für die Fitness des 71-
Jährigen. Auch sonst ist der Pensionär
nicht untätig. Geplant sind
etwa Reisen nach Bayern zum Ski-Langlauf und im
Sommer zum jährlichen
Segeln für Menschen mit und ohne
Behinderungen nach Bregenz. Im
Gepäck stets dabei: der weiße
Stock.